Attacke vor Bautzener Jugendclub: „Wir wurden aus dem Nichts angegriffen“

Vermummte greifen Mitte Juli vor dem Jugendclub Kurti in Bautzen mehrere Personen an, darunter einen Stadtrat. Sächsische.de konnte mit ihm sprechen. Und mit weiteren von Gewalt Betroffenen.

Es ist schon spät am Sonnabend, dem 13. Juli 2024. Im Jugendclub Kurti auf der Kurt-Pchalek-Straße in Bautzen ist Betrieb, einige Leute sitzen draußen, quatschen und trinken was. Auch Denis Postel, frisch gewählter Stadtrat der Satirepartei Die Partei. „Wir haben über alles Mögliche gesprochen, was die Jugend so betrifft und was ich Positives für sie im Stadtrat bewirken kann“, sagt er. Zu dem Zeitpunkt sei es um Musik gegangen. „Dann wurden wir aus dem Nichts von vermummten Menschen angegriffen.“

Die Angreifer seien kampfsporterprobt gewesen. „Sie konnten boxen und wussten auch wie und wo sie zutreten.“ Er sei von hinten auf den Kopf und in den Rücken geschlagen und getreten worden. „Ich habe mich dann mit den Händen überm Kopf versucht zu schützen. Das ging so schnell, man hatte keine Zeit, zu überlegen und in den Verteidigungsmodus zu gehen.“

Aktuell ist Postel krankgeschrieben. Er habe Kopf- und Rückenschmerzen gehabt, ihm sei schwindelig gewesen. „Man ist erschüttert nach so einem Angriff, wir haben ja nichts gemacht.“

Die sechs unbekannten Täter konnten flüchten, die Polizei sucht Zeugen des Angriffs. Der Staatsschutz ermittelt aktuell. In den sozialen Medien gab es Solidaritätsbekundungen mit dem Kurti und den Betroffenen. Das Rathaus verurteilt die Gewalt. Sie dürfe „kein Mittel der Auseinandersetzung sein.“ Dass der von den Jugendlichen selbstverwaltete Club Kurti auch „Neider auf den Plan ruft, ist sehr bedauerlich.“

„Wenn ihr nicht aufhört, lernen wir uns richtig kennen“

Der Begriff Neider erscheint allerdings nicht recht passend für die Situation. Denn der Jugendclub war in der Vergangenheit immer wieder Ziel von Angriffen. Im Oktober 2019 wurde der Garten verwüstet, Pflanzen wurden rausgerissen und Blumenkübel zerstört. Im Vorfeld einer Veranstaltung Anfang März 2023 mit dem Aktivisten Jakob Springfeld im Jugendclub versammelten sich laut dem Verein RAA Sachsen (Regionale Arbeitsstellen und Angebote für Bildung, Beratung und Demokratie) vermummte Nazis. Die Veranstalter riefen die Polizei.

Mitte März 2023, so berichtet das Projekt „Support“ für Betroffene rechter Gewalt des RAA, seien Jugendliche von stadtbekannten Neonazis bedroht und bis zum Jugendclub verfolgt worden. Die Nazis sollen versucht haben, in den Club zu kommen. Einer von ihnen habe gerufen: „Wenn ihr nicht aufhört, lernen wir uns einmal richtig kennen!“ In der Nacht zum 14. Juni 2024 warfen Unbekannte die Scheibe einer Eingangstür des Kurti ein. Dabei sollen sie laut RAA Parolen wie „Scheiß Antifa“ gerufen haben. Zwei Personen seien dabei beobachtet worden, „wie sie an die Tür des Jugendclubs spuckten“.

Zahl rechtsmotivierter Straftaten ist gestiegen

Es sind offensichtlich keine Einzelfälle: Die politisch rechtsmotivierten Straftaten im Landkreis und in der Stadt Bautzen sind laut Polizei im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr gestiegen. Das hänge mit den diesjährigen Wahlen zusammen. Dabei seien die häufigsten Straftaten von rechts Propagandadelikte, wie zum Beispiel das Zeigen des Hitlergrußes, gefolgt von Sachbeschädigungen.

Der RAA Sachsen registrierte einen ähnlichen Trend: seit Jahresanfang 15 Fälle rechter Gewalt im Landkreis Bautzen. Dabei handele es sich „um acht gefährliche und drei einfache Körperverletzungen und um vier Bedrohungen“, sagt Andrea Hübler, RAA-Fachreferentin. Dabei richteten sich elf Angriffe gegen politische Gegner, vier waren rassistisch motiviert.

Ein deutlicher Anstieg: „2023 registrierten wir bis Mitte Juli nur sieben Angriffe.“ Die Stadt Bautzen sei ein Schwerpunkt rechter Gewalt. „Von der Beschreibung der Vorfälle und der Täter gehen wir in mindestens zehn der Fälle von Angreifern aus der organisierten rechten Szene aus, und in dieser nehmen die Gruppe Balaclava Graphics und der Jugendblock eine zentrale Rolle ein“, sagt Hübler. Vertreter beider Gruppen würden regelmäßig an den Montagsprotesten in Bautzen teilnehmen, Sticker verteilen und sich auf Instagram inszenieren und „damit besonders junge Personen ansprechen.“

Beide sind auch dem Verfassungsschutz (LfV) bekannt. 2023 wurde der Jugendblock Bautzen als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Über das Medienkollektiv Balaclava Graphics, dessen Kopf der stadtbekannte Neonazi Benjamin Moses ist, berichtet der LfV schon seit 2018. Es wird auch als rechtsextrem innerhalb der neonationalsozialistischen Szene in Sachsen eingestuft. Moses, der Kleidung mit der Aufschrift „The White Race“, also die weiße Rasse, trägt und vertreibt, gestaltet laut LfV auch Werbe-Flyer und Cover für Nazi-Bands. Er wurde 2024 Jahr für das Bündnis Oberlausitz/Freie Sachsen in den Kreistag gewählt.

Auch andere Politiker von Gewalt betroffen

Laut dem mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen (MBT) hat sich die Sicherheitssituation von politisch engagierten oder alternativ auftretenden Menschen in der Stadt Bautzen „massiv verschlechtert.“ Das MBT beobachte seit der Corona-Pandemie eine größere Gewaltbereitschaft und Präsenz rechtsextremer Gruppen. Auch sorbische Jugendliche würden andauernd von Bedrohungen oder Anfeindungen erzählen. Vieles davon käme aber nicht zur Anzeige.

Eine Erfahrung, die auch ein Parteikollege von Denis Postel, Hagen Schuster, machen musste. Er trat ebenfalls zur Stadtratswahl als Spitzenkandidat an. Am 14. Juni 2024, fünf Tage nach der Kommunalwahl, wurde Schuster im Best Western Hotel beim Abiball seiner Tochter von einer ihm bekannten Person, die er dem rechtsextremen Jugendblock zuordnet, attackiert. „Er hat mich an der Schulter gepackt, mich umgedreht und mir direkt vor dem Veranstaltungssaal mit der Faust ins Gesicht geschlagen“, berichtet Schuster.

Als er zu Boden ging, habe die Person, der er an seinen Wahlwerbeständen bereits häufiger begegnet sei, weiter auf ihn eingetreten. „Obwohl mehrere Leute da waren, hat er keine Hemmschwelle gehabt“, berichtet Schuster. Von dem Vorfall habe er Hämatome und Prellungen davongetragen, die im Krankenhaus behandelt wurden. Besonders die Tritte in den Nierenbereich machten ihm noch vier Wochen lang zu schaffen. „Ich befürchte, dass die Gewalt in den Wochen vor der Landtagswahl noch weiter zunehmen wird“, prognostiziert Schuster. Er hat bei der Polizei Anzeige gegen den Angreifer erstattet, der ihm namentlich bekannt ist.

Auch Jonas Löschau, Stadtrat der Grünen und Organisator des Bautzener Christopher Street Days, erlebt regelmäßig Anfeindungen. „Ich habe zwar noch keinen körperlichen Übergriff, aber immer wieder mal brenzlige Situationen erlebt“, berichtet er. So sei er vor wenigen Wochen abends einer Gruppe „Szenejugendlicher“ begegnet, die ihm androhten, den nächsten geplanten CSD stören zu wollen. „Ob ich denn schon einen Termin nennen könnte, damit sie ihn beenden könnten, wollten sie wissen“, so Löschau. Die Anfeindungen hätten sich in den vergangenen Wochen und Monaten immens zugespitzt. „Es ist inzwischen schwer, abends durch die Straßen zu laufen, ohne auf Leute dieser Gruppe zu treffen. Da sollten die Alarmglocken ganz laut schrillen.“

„Es besteht dringender Handlungsbedarf“

„Es ist auffällig, dass in diesen Gruppen Gewalt eine zentrale Rolle spielt“, sagt Sozialarbeiter Benno Auras von Pro Chance – Mobile Jugendarbeit Bautzen. „Junge Menschen sagen uns oft, dass sie in Auseinandersetzungen mit rechten Jugendlichen gekommen sind.“ Die würden gezielt Streit mit jenen suchen, die nicht ihrer Meinung sind. „Das ist so bereits am Skatepark im Stadtteil Gesundbrunnen, am Theaterplatz, auf dem Protschenberg und ständig am Jugendclub Kurti der Fall gewesen.“ In den Abendstunden könnten diese Orte zur Zielscheibe werden.

Anders schätzt man die Situation im Bautzener Rathaus ein. Dort beruft man sich auf die regelmäßigen Sicherheitsrunden mit dem Oberbürgermeister, Sozialarbeitern, Ordnungsamt und Polizei. Die in den Runden angesprochenen Themen spiegelten nach „Aussage der Polizei weder inhaltlich noch statistisch eine echte Problemlage in Bautzen wider“, so ein Stadtsprecher.

Der Trägerverbund (tvBUNT), ein Netzwerk für Demokratie und Toleranz im Landkreis Bautzen, widerspricht: „Die Lage rechter Jugendgewalt in Bautzen ist in den letzten Monaten deutlich angespannter geworden.“ Einzelne Mitglieder des Netzwerks müssten sich fast täglich damit auseinandersetzen. „Es gab bereits mehrere Vorfälle, bei denen Einrichtungen bedroht oder angefeindet wurden, was zeigt, dass die Situation ernst ist und dringender Handlungsbedarf besteht.“